Im Arbeitsmarkt treffen unterschiedliche schützenswerte Interessen aufeinander. Die wirtschaftliche Ausrichtung der Unternehmen schafft Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land. Das wäre jedoch nicht möglich ohne den täglichen Einsatz der Arbeitnehmenden. Ihre Interessen an korrekten Löhnen und Arbeitsbedingungen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Das Arbeitsrecht regelt die Grundlagen der Verbindung zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Es sorgt insbesondere für korrekte Löhne und Arbeitsbedingungen. In verschiedenen Branchen werden diese Regeln durch sogenannte Gesamtarbeitsverträge (GAV) konkretisiert.
Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV)

GAV sind in der Schweiz seit über einem Jahrhundert weit verbreitet, gesetzlich geregelt (Art. 356 bis 358 OR) und bilden das Herzstück der Sozialpartnerschaft. In diesem Artikel erläutern wir das Thema der Gesamtarbeitsverträge sowie deren Bedeutung für Schweizer Arbeitsverhältnisse.

Was ist ein GAV?

Ein GAV ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmerverbänden auf der einen Seite und einzelnen Unternehmen oder Arbeitgeberverbänden auf der anderen Seite. Auf Arbeitnehmerseite können nur Koalitionen bzw. Gewerkschaften Gesamtarbeitsverträge abschliessen. Die Parteien legen gemeinsam branchenspezifische Arbeitsbedingungen fest, regeln das gegenseitige Verhältnis und bewirken insbesondere die Sicherstellung fairer Mindestlöhne. Gemäss Bundesamt für Statistik unterstehen rund 2.1 Mio. Beschäftigte in der Schweiz einem GAV.

Beim GAV handelt es sich grundsätzlich um einen Vertrag privatrechtlicher Natur, welcher aus übereinstimmenden Willenserklärungen von mindestens zwei Parteien besteht. Ferner schaffen die GAV-Parteien objektives Recht, wodurch der GAV in seinem Anwendungsbereich Gesetzescharakter besitzt.

Wer ist dem GAV unterstellt?

Der Geltungsbereich des GAV bestimmt sich in zeitlicher, räumlicher, sachlicher und persönlicher Hinsicht. In zeitlicher Hinsicht tritt dessen Wirkung mit seinem Abschluss ein und fällt mit seiner Beendigung dahin, falls nichts anderes vereinbart ist. Weiter ist in räumlicher Hinsicht darauf hinzuweisen, dass je nach Branche GAV bestehen, die landesweit, regional oder nur lokal Wirkung entfalten. Für die Zuordnung des Unternehmens ist dessen Sitz massgebend. Sachlich bestimmt sich der Geltungsbereich danach, als sich die Wirkung auf eine bestimmte Branche bzw. einen Wirtschaftszweig oder auf bestimmte fachliche Tätigkeit erstreckt. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gilt der GAV für den ganzen Betrieb und somit auch für berufsfremde Arbeitnehmende. Dabei werden regelmässig gewisse Funktionsstufen und besondere Anstellungsverhältnisse ausgenommen.

Persönliche Bindung an den GAV

Die dem vertragsschliessenden Arbeitgebenden- und Arbeitnehmendenverband angehörende Mitglieder:

  • Durch die Mitgliedschaft bei einem vertragsschliessenden Verband hat der Mitgliedbetrieb aufgrund der Stellvertreterwirkung dem GAV ebenfalls zugestimmt. Dasselbe gilt für die Arbeitnehmenden, welcher Mitglied einer Gewerkschaft sind, die sich dem GAV angeschlossen hat. Auch sie haben aufgrund der Stellvertreterwirkung dem GAV zugestimmt.
  • Durch die sog. Ausdehnungsklausel kann ein GAV die beteiligten Unternehmen verpflichten, die normativen Bestimmungen auf sämtliche Arbeitnehmenden – unabhängig davon, ob diese Mitglieder einer dem GAV angeschlossenen Gewerkschaft sind – auszudehnen. Gemäss Bundesgericht bewirkt diese Ausdehnung jedoch keine direkten Ansprüche der Angestellten gegenüber ihren Arbeitgebenden. Die Ausdehnung ist lediglich als Grundlage für die Sanktionierungsmöglichkeit des Verbandes bei Verletzung einer GAV-Bestimmung durch angeschlossene Unternehmen zu betrachten

Die Mitglieder eines nachträglich beigetretenen Verbands.

Einzelne Unternehmen, die sich dem GAV freiwillig anschliessen: Dieser freiwillige Anschluss setzt voraus, dass Arbeitgebende und Arbeitnehmende einen GAV zum Vertragsbestandteil eines Einzelarbeitsvertrages machen und diesen Willen im Arbeitsvertrag zum Ausdruck bringen.

Personen, die sich mit Zustimmung der Vertragsparteien dem GAV anschliessen und als beteiligte Arbeitgebende und Arbeitnehmende gelten, nicht aber Vertragspartei sind. Dieser Anschluss bewirkt, dass die normativen Bestimmungen und die Friedenspflicht unbeschränkt, die indirekt schuldrechtlichen Bestimmungen aber nur so weit gelten, als diese übernommen worden sind.

Betriebe, die ihren Sitz im räumlichen Geltungsbereich eines allgemein verbindlich erklärten GAV haben oder in dessen Gebiet Tätigkeiten ausführen, sofern sie auch die Anforderungen an den räumlichen Geltungsbereich erfüllen:

  • Dies bedeutet konkret, dass sämtliche Unternehmen, welche den betrieblichen und räumlichen Geltungsbereich eines allgemeinverbindlich erklärten GAV erfüllen, dem GAV unterstellt sind. Sie müssen sämtliche Bedingungen zwingend einzuhalten haben. Der räumliche und betriebliche Geltungsbereich eines GAV ist grundsätzlich in den ersten Ziffern des entsprechenden GAV’s geregelt. Darin wird festgehalten, für welche Betriebe oder Betriebsteile der folgenden Gewerbe der GAV unmittelbar gilt (betrieblicher Geltungsbereich). Weiter gilt er grundsätzlich für das gesamte Personal des Betriebes, sofern dieses nicht explizit vom GAV o der Gesetzt vom persönlichen Geltungsbereich ausgenommen wird (z.B. der Betriebsinhaber und seine Familienangehörigen nach Art. 4 Abs. 1 ArG). Der räumliche Geltungsbereich ist hingegen geografisch definiert (z.B. gilt der GAV nur für einen bestimmten Kanton).
  • Führt ein Nichtverbandsmitglied Arbeiten in einem Gebiet aus, in welchem ein allgemeinverbindlicher GAV gilt, so hat der Betrieb den GAV für diesen Einsatz anzuwenden.
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Inhalt des GAV

Der klassische Inhalt eines GAV beinhaltet Bestimmungen über den Abschluss, Inhalt und Beendigung des Einzelarbeitsvertrages (normative Bestimmungen), Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien untereinander (schuldrechtliche Bestimmungen) und Bestimmungen über Kontrolle und Durchsetzung des GAV.

Normative Bestimmungen des GAV

Die normativen Bestimmungen eines GAV stellen autonomes Satzungsrecht (Normsetzungsbefugnis) dar. Sie werden mit Inkrafttreten des GAV Bestandteil des Einzelarbeitsvertrages und sind wie Gesetze auszulegen. Die normativen Bestimmungen wirken unmittelbar bzw. haben direkte Geltung und sind grundsätzlich unabdingbar. Nach dem Günstigkeitsprinzip ist eine Abweichung zugunsten der Arbeitnehmenden im Einzelarbeitsvertrag jedoch zulässig, sofern der GAV keinen entsprechenden Vorbehalt enthält. Man spricht daher im Zusammenhang mit den Bestimmungen im GAV von Mindestarbeitsbedingungen (vgl. Art. 357 Abs. 2 OR). Die Unabdingbarkeit der normativen Bestimmungen wird zudem durch die Öffnungsklausel eingeschränkt. Diese lässt auch eine Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmenden zu, wenn der GAV dies vorsieht. Schliesslich sind die normativen Bestimmungen unverzichtbar für Forderungen, die dem Arbeitnehmenden aufgrund einer solchen zustehen. Dies gilt für die Dauer des Arbeitsverhältnisses und einen Monat darüber hinaus (vgl. Art. 341 Abs. 1 OR).

Vereinbarungen zwischen beteiligten Unternehmen und Arbeitnehmenden, die gegen die unabänderbaren Bestimmungen verstossen, sind nichtig (Ausnahmen vorbehalten). Sie werden durch die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages ersetzt.

Inhaltlich werden die normativen Bestimmungen unterschieden in:

  1. Abschlussnormen wie Formvorschriften (z.B. Schriftlichkeit; mit konstitutiver oder deklaratorischer Wirkung), Abschlussgebote (Wiedereinstellung im Rahmen einer Streikabwicklung) und Abschlussverbote (z.B. Verbot der Heimarbeit);
  2. Inhaltsnormen wie über Lohn, Arbeitszeit, Ferien oder Konventionalstrafen zur Sicherung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag;
  3. Beendigungsnormen wie verstärkter Kündigungsschutz und Änderung der Kündigungsfristen.

Beispielhaft sind insbesondere folgende normativen Bestimmungen Gegenstand eines GAV:

  • Lohn, 13.Monatslohn, Entschädigungen,
  • Lohnfortzahlungen bei Verhinderung wegen Krankheit, Mutterschaft und Militärdienst
  • Ferien
  • Arbeitszeitvorschriften
  • Erweiterung des Kündigungsschutzes.

Das zwingende Recht des Bundes oder der Kantone bildet die Schranken der normativen Bestimmungen und hat Vorrang. Jedoch kann auch hier nach dem Günstigkeitsprinzip (Art. 358 OR) zugunsten des Arbeitnehmenden in einem GAV von zwingendem Recht des Bundes und der Kantone abgewichen werden, wenn das zwingende Recht dies zulässt. Zudem ist unter speziellen Konstellationen auch ein Abweichen zuungunsten des Arbeitnehmenden möglich (z.B. Art. 335c Abs. 2 OR; Art. 2 MitwG i.V.m. Art. 5 MitwG).

Schuldrechtliche Bestimmungen des GAV

Die gesetzlichen (Art. 357a OR) und vertraglichen (Art. 356 Abs. 3) Bestimmungen, die ihre Wirkung lediglich zwischen den Vertragspartnern entfalten, werden als schuldrechtliche Bestimmungen des GAV bezeichnet. Ihre Auslegung und Ergänzung folgen vertragsrechtlichen Regeln.

Als schuldrechtliche Rechte und Pflichten gelten:

  1. Die Einhaltungspflicht, wonach die Parteien verpflichtet sind, für die Einhaltung des GAV besorgt zu sein bzw. alles zu unterlassen, was der Geltung und Erfüllung widerspricht (Art. 357a Abs. 1 OR);
  2. Die Durchführungspflicht, wonach die Parteien verpflichtet sind, den GAV zu vollziehen;
  3. Die Einwirkungspflicht, wonach die Verbände zur Einhaltung des GAV auf ihre Mitglieder einwirken und die statutarischen und gesetzlichen Mittel hierzu ergreifen müssen;
  4. Die Friedenspflicht, wonach die Verbände den Arbeitsfrieden zu wahren und sich Kampfmassnahmen zu enthalten haben, soweit es sich um Gegenstände handelt, die im GAV geregelt sind (vgl. Art. 357a Abs. 2 OR und Art. 28 Abs. 2 BV). Eine absolute Friedenspflicht muss ausdrücklich vereinbart sein.

Die Durchsetzung der schuldrechtlichen Rechte und Pflichten kann mittels einer Klage auf Unterlassung, Feststellung oder Schadenersatz erfolgen. Zur Beurteilung der Streitigkeiten sind in der Regel Schiedsgerichte vorgesehen.
Von den schuldrechtlichen Bestimmungen sind die indirekt-schuldrechtlichen Bestimmungen eines GAV zu unterscheiden. Diese begründen ebenfalls Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien des GAV, die das Einzelarbeitsverhältnis betreffen. Es handelt sich etwa um Solidarnormen (z.B. Leistungen zugunsten der Belegschaft), Ordnungsnormen (z.B. Regelung des Verhaltens der Arbeitnehmenden im Betrieb) oder Normen über betriebliche Mitwirkung oder Leistungen an die Ausgleichskasse. Die Auslegung und Ergänzung dieser Bestimmung erfolgen analog zu dem Vorgehen bei Gesetzen.

Allgemeinverbindlicherklärung von GAV

Gemäss dem Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) können der Bund oder die Kantone die Anwendung eines GAV ganz oder teilweise für einen Berufszweig verbindlich erklären. Dies geschieht vornehmlich auf Verlangen aller Vertragsparteien. Die Anwendbarkeit des GAV wird nicht mehr an eine freiwillige Verbandsmitgliedschaft geknüpft. Der GAV wird durch einen öffentlich-rechtlichen Akt zwingender Bestandteil des Arbeitsvertrages, ob dies dem Willen der betroffenen Parteien entspricht oder nicht. Die allgemein verbindlich erklärten Bestimmungen gelten sodann auch für Arbeitgebende und Arbeitnehmende, die keiner Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband angehören. Das AVEG untermauert den gesetzlichen Charakter des GAV.

Art. 2 und 3 AVEG normieren die Voraussetzungen, unter welchen ein Gesamtarbeitsvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Insbesondere muss sich dies als notwendig erweisen und darf dem Gesamtinteresse nicht zuwiderlaufen sowie die berechtigten Interessen anderer Wirtschaftsgruppen und Bevölkerungskreise nicht beeinträchtigen. Wird ein GAV allgemeinverbindlich erklärt, wird eine branchenspezifische Paritätische Kommission eingesetzt. Diese besteht aus Vertretern der Arbeitnehmer- sowie der Arbeitgeberseite und hat den Auftrag zur Durchsetzung bzw. Durchführung des betroffenen GAV. Gestützt auf den GAV kontrolliert die Paritätische Kommission die GAV-unterstellten Unternehmen stichprobeweise oder auf Anzeige. Werden Verstösse festgestellt, hat sie unter anderem die Möglichkeit den fehlbaren Unternehmen eine Konventionalstrafe und die Kontrollkosten aufzuerlegen.

Vom Bund und jedem Kanton werden ferner tripartite Kommissionen zur Beobachtung des Arbeitsmarktes eingesetzt. Sie setzen sich aus einer gleichen Zahl von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sowie Vertretern des Staates zusammen. Stellt eine solche Kommission fest, dass in einer Branche oder einem Beruf die orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne und Arbeitszeiten wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten werden, so kann sie mit Zustimmung der Vertragsparteien die Allgemeinverbindlicherklärung der Bestimmungen über die minimale Entlöhnung und die ihr entsprechende Arbeitszeit sowie die paritätische Kontrolle des für die betreffende Branche geltenden Gesamtarbeitsvertrags beantragen.

Was passiert, wenn ein GAV aufgehoben oder geändert wird?

Wird ein GAV beendet, so führt dies nicht zur Auflösung der betroffenen Arbeitsverhältnisse. Es ist daher wichtig, den Inhalt des GAV auch nach dessen Wegfall bestimmen zu können. Im schweizerischen Recht fehlt eine Regelung über die Nachwirkung der GAV auf Einzelarbeitsverträge, die während der Geltung des GAV geschlossen oder erneuert wurden. Es steht den GAV-Parteien aber frei, eine Vereinbarung darüber in den GAV aufzunehmen und z.B. zu vereinbaren, dass der GAV für bestehende Verträge auch nach der Auflösung gilt.

Wird ein GAV ersatzlos beendet und enthielt er keine Regelungen über die nachträgliche Geltung, sind die Vertragsparteien grundsätzlich von allen gegenseitig vereinbarten Rechten und Verpflichtungen entbunden. Soweit die Einzelarbeitsverträge durch den GAV direkt geregelt waren, verlieren die normativen Bestimmungen des GAV grundsätzlich ihre unmittelbare Wirkung auf sie. Die Frage der Nachwirkung der GAV auf Einzelarbeitsverträge ist umstritten. Nach Ansicht des Bundesgerichts gilt die Vermutung, dass der Wille der Einzelvertragsparteien auf eine nachwirkende Geltung gerichtet ist, solange keine Änderungskündigung erfolgt und kein Änderungsvertrag abgeschlossen wird.

Noch Fragen zum GAV?

Wir hoffen, dass wir Ihnen im vorliegenden Artikel das Konzept der Gesamtarbeitsverträge näher bringen konnten. Wir empfehlen Ihnen sich mit den Bestimmungen ihres branchenspezifischen GAV – falls vorhanden – eingehend auseinander zu setzen und die Vorgaben entsprechen umzusetzen. Auf diese Weise leisten Sie einen Beitrag für einen fairen Arbeitsmarkt für alle und vermeiden unangenehme Überraschungen.

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